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Cicero
Cornelia als tugendhafte Matrona republikanischer Werte?

 

Deutlich näher an der Zeit Cornelias lebte Cicero. Geboren wurde er am 03. Januar 106 v. Chr. als Marcus Tullius Cicero in Arpinum, das zwischen den Abruzzen und Rom gelegen ist.[1] Damit überschnitt sich sein Leben wohl sogar knapp mit dem Cornelias, von der man annimmt, dass sie um 102 v. Chr. verstarb.[2]

Er entstammte dem römischen Ritterstand und unterschied sich, wie Wolfgang Schuller herausgearbeitet hat, „[…] [i]n Lebensstil, Bildungsgrad und Sozialprestige [damit von Beginn an] kaum von den Senatoren“[3]. Ebenso weist Schuller auf den Umstand hin, dass Cicero durch die engen Verbindungen seiner Familie zu senatorischen Kreisen bereits seit seiner frühsten Kindheit für die „[…] Erschütterungen [sensibilisiert wurde], denen die römische Republik ausgesetzt war“[4]

Mit diesen Erschütterungen sind u. a. auch die Krisen gemeint, an deren Entstehung Cornelias Söhne, Tiberius und Gaius, entscheidend mitgewirkt haben. Die als revolutionär empfundene Agrarreform des Tiberius Gracchus wie auch der offene Konflikt zwischen Gaius Gracchus und dem Senat wurden im Beitrag zu Plutarch bereits erwähnt. Unabhängig von der offenen Frage nach den Motivationen hinter diesen Handlungen der Gracchenbrüder führten sie eine entscheidende Schwachstelle der Republik offen vor Augen: Einen erheblichen Sozialneid sowie Konkurrenzkampf innerhalb der römischen Nobilität.[5] Ciceros eigenes Leben war stark geprägt durch diese Folgen der gracchischen Zeit. 

Mit dem Mord an Tiberius Gracchus sowie seinen Anhängern im Jahr 133 v. Chr. zeichnete sich bereits ein Trend ab, der bis zum Beginn der Kaiserzeit in Form des augusteischen Prinzipats nicht mehr völlig abreißen sollte und die Gewalt immer stärker als politisches Machtinstrument kultivierte.[6] Es würde deutlich zu kurz greifen, das Scheitern der römischen Republik bereits mit den Gracchen für besiegelt zu erklären. Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass die Brüder am Beginn einer Entwicklung standen, die letztlich von einer republikanischen Staatsform in eine Form der Alleinherrschaft mündete.

Dass Cicero dieser Entwicklung kritisch gegenüberstand, dürfte angesichts dessen, dass er ein entschiedener Verteidiger republikanischer Traditionen war, kaum verwundern. Auch scheint es vor diesem Hintergrund nur einleuchtend, dass Cicero die Gracchenbrüder immer wieder direkt mit dem Scheitern der Republik verknüpfte. Publius Cornelius Scipio Nasica, der zu den Gegnern von Tiberius zählte, wurde von Cicero etwa als regelrechter Befreier aus der „[…] Gewaltherrschaft des Tiberius […]“ stilisiert.[7] Cicero stand Cornelias Söhnen damit grundsätzlich eher ablehnend als wohlgesonnen gegenüber.

Seiner Charakterisierung Cornelias tat dies dennoch keinen Abbruch. Anders als Plutarch ist Cicero recht festgelegt, was seine Äußerungen zu ihrer Person betrifft. So beschreibt er sie in seinem Werk Brutus als besonders redegewandt. Zugleich weist auch Cicero auf die Briefe der Cornelia hin, die ebenso bei Plutarch erwähnt werden. Allerdings fehlt bei ihm die brisante Information über Cornelias mutmaßliche Verstrickung in Gaius Konflikt mit der römischen Nobilität: „Ich habe gelesen die Briefe der Cornelia, der Mutter der Gracchen: Es zeigt sich daß ihre Söhne nicht so sehr im Schoße der Mutter ihre Erziehung erhielten als durch ihre Sprache.“[8]

Eine weitere Stelle bezeugt, dass Cicero, wenngleich er die Gracchenbrüder als Bedrohung für die politische Stabilität wahrnahm, dennoch ihre Fähigkeiten in der Rhetorik ungemein zu schätzen wusste. Erneut hebt er dabei hervor, dass es Cornelia gewesen sei, der sie dies zu verdanken gehabt hätten: „Durch die Sorgfalt seiner Mutter Cornelia genoß ja Gracchus [gemeint ist hier Tiberius] seine Ausbildung schon von frühester Jugend an und wurde auch in den griechischen Wissenschaften unterrichtet. […] Aber ihm war nur eine kurze Zeit vergönnt, seine Begabung zu entwickeln und zu beweisen.“[9]

Dabei sei erwähnt, dass es sich bei Brutus um eine rhetorische Schrift aus der Spätphase von Ciceros Schaffens handelt. Sie entstand wohl ab 46 v. Chr. während der Alleinherrschaft Julius Caesars und wurde durch eine bestehende Kritik an Ciceros Redestil angestoßen.[10] Dass Cornelia in Sachen Redekunst in diesem Werk lobend hervorgehoben wird, zeugt somit von einer deutlichen Bewunderung durch Cicero. Immerhin war er darauf bedacht, mit den Zweifeln an seinem eigenen rhetorischen Talent aufzuräumen.

Suzanne Dixon sieht die Anerkennung Ciceros überdies darin begründet, dass Autoren wie er Quintilian oder Tacitus sich für eine frühe rhetorische Ausbildung junger Männer stark gemacht hätten. Auch wenn er ihre Söhne mit dem Scheitern der Republik verknüpfte, erkannte Cicero in Form ihrer rhetorischen Ausbildung durch Cornelia offenbar dennoch ein republikanisches Ideal wieder, das im Zuge der Erosion republikanischer Traditionen immer stärker an Bedeutung verlor.[11] Denkbar also, dass sich nicht nur Anerkennung hinter diesen Ausführungen verbirgt, sondern dazu auch der Wunsch nach einem erneuten Fokus auf eine fundierte rhetorische Ausbildung, um damit das Rückgrat einer republikanischen Restauration bilden zu können. 

 

Im direkten Vergleich mit Plutarch bleibt zu erwähnen, dass Cicero anders als dieser keine direkt forcierte politische Einflussnahme Cornelias erwähnt. Auch ist Cicero selbstbewusster in seiner Charakterisierung und fokussiert sich in seiner Darstellung auf die Beschreibung einer tugendhaften Matrona, die den republikanischen Idealen entspricht.

Anker 1

[1] Bringmann 1997, Sp. 1191.

[2] Dixon 2007, 03.

[3] Schuller 2013, 14.

[4] Ebd., 24.

[5] Gotter 2020, 84.

[6] Bringmann 2010, 211.

[7] Cic. Brut. 212: „[…] ex dominatu Ti. Gracchi […]“ (übers. v. B. Kytzler).

[8] Cic. Brut. 211: „legimus epistulas Corneliae matris Gracchorum: apparet filios non tam in gremio educatos quam in sermone matris.“ (übers. v. B. Kytzler).

[9] Cic. Brut. 104: „fuit Gracchus diligentia Corneliae matris a puero doctus et Graecia litteris eruditus. […] sed ei breve tempus ingeni augendi et declarandi fuit.“ (übers. v. B. Kytzler).

[10] Bringmann 1997, Sp. 1198.

[11] Dixon 2007, 52f.

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