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Schlussbetrachtungen

 

Abschließend ergibt sich ein weiterhin ambivalentes Bild der Cornelia Africana. Ihre antike Darstellung in den ersten 200 Jahren nach ihrem Tod reicht von der Beschreibung einer tugendhaften Matrona, die republikanische Werte verkörpert und sich besonders durch ihre Redegewandtheit und Bildung hervorgetan haben soll, über das Bild einer vorbildhaften Ehefrau und Mutter der frühen Kaiserzeit bis hin zu dem einer außerordentlich ambitionierten Frau, die durch ihre Söhne hindurch politisch Einfluss genommen habe.

Dennoch lassen die untersuchten Quellen wertvolle Rückschlüsse auf die eingangs gestellte Fragestellung zu, inwiefern die antike literarische Darstellung Cornelias in der Spätphase der Republik sowie der Frühphase des Prinzipats eine moralische Konstruktion der Rolle der Frau widerspiegelt.

Die bedeutsamste Erkenntnis ist sicherlich die Ambivalenz der Quellenaussagen selbst. Das Fehlen einer einheitlichen Darstellung ihrer Person sowie die teils erheblichen Unterschiede in ihrer Charakterisierung deuten darauf hin, dass letztlich weder Cicero noch Valerius Maximus das Ziel verfolgt haben dürften, Cornelia anhand der ihnen zur Verfügung stehenden Quellenlage möglichst ihrer historischen Person entsprechend darzustellen.

Viel eher lässt sich im Zusammenspiel mit ihren jeweiligen Lebensrealitäten ein Motiv dafür erkennen, Cornelia im Sinne ihrer eigenen moralischen Überzeugungen erscheinen zu lassen. 

So ist es sicherlich kein Zufall, dass die zentralen Charaktereigenschaften, die Cicero ihr zuschreibt, jene sind, die auch für ihn selbst einem Ideal gleichkommen: Ein hoher Bildungsgrad sowie das Sorgetragen für eine fundierte rhetorische Ausbildung für ihre Söhne. 

Valerius Maximus verfährt ähnlich, idealisiert aber andere Werte und projiziert diese abermals auf Cornelia. Bei ihm werden Genügsamkeit, Häuslichkeit, Treue dem Ehemann und der Familie gegenüber sowie Sittsamkeit als die zentralen Ideale gepriesen.

Etwas anders verhält es sich mit Plutarch. Dieser bleibt in seinem Stil distanzierter und stellt viel eher verschiedene Überlieferungstraditionen zu Cornelia einander gegenüber, als dass er sich auf eine bestimmte festlegt. Allerdings besteht bei ihm die mit Abstand größte zeitliche Distanz zu Cornelias eigenem Leben, was zusammen mit den Sprachbarrieren und der fluktuierenden Qualität unsorgfältiger Quellenarbeit Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit seiner Aussagen aufwirft.

Nichtsdestotrotz bezeugen seine Darstellungen, dass sich bis in seine Zeit hinein keine homogene Überlieferungstradition zu Cornelia erhalten hat. Der Aspekt der politischen Einflussnahme tritt bei ihm im Vergleich zu Cicero und Valerius Maximus am prominentesten hervor.

Wenngleich diese Arbeit also keine abschließende Antwort auf die Frage liefern kann, wer Cornelia war und wie sehr sich ihre literarische Darstellung von ihrem eigenen Rollenverständnis in der römischen Gesellschaft unterschied, lässt sich doch festhalten, dass vieles dafürspricht, ihr vorherrschendes Bild als moralische Konstruktion zu bezeichnen. Gleichwohl kann hiermit keine einheitliche Konstruktion gemeint sein, wie anhand der ambivalenten Darstellung deutlich geworden sein dürfte. Viel eher lässt sich Cornelia Africana als einflussreiche Projektionsfigur der römischen Geschichtsschreibung begreifen, die in unterschiedlichen Epochen sowie aus unterschiedlichen Interessensgruppen und Strömungen heraus immer wieder genutzt wurde, um wechselnde weibliche Ideale zu verkörpern. Insofern sagen die antiken Quellen weniger über Cornelia selbst aus als vielmehr über die Zeit und die politischen sowie sozialen Hintergründe ihrer eigenen Entstehung.

Für künftige Forschungen zu Cornelia bieten sich weitere Quellen an, die in diesem Rahmen aus Gründen des Umfanges nicht beachtet werden konnten. So haben neben Plutarch, Cicero und Valerius Maximus auch Appian oder Seneca über sie geschrieben. 

Appian deutet etwa eine Verwicklung von Cornelia und ihrer Tochter Sempronia in einen Mord an Publius Cornelius Scipio Aemilianus Africanus, den Ehemann Sempronias, an.[1]

Seneca (der Jüngere) wiederum benennt Cornelia in einer Trostschrift an seine Mutter Helvia als vorbildhaftes Beispiel dafür, dem Verlust der eigenen Kinder nicht mit Trauer, sondern mit Stolz zu begegnen.[2] Gerade in Anbetracht der zeitlichen Einordnung dieser Quelle läge es nahe, hier an die Untersuchung von Valerius Maximus anzuknüpfen, da sich zwischen beiden Autoren zweifelsfrei Ähnlichkeiten in ihrer Darstellung Cornelias erkennen lassen. 

Bei Cornelius Nepos sind darüber hinaus Brieffragmente Cornelias überliefert, deren Echtheit zwar mit Recht angezweifelt wird, die im Sinne einer Erforschung ihres Ursprunges sowie möglicher Entstehungsursachen aber dennoch gewinnbringend sein können.[3]

Aus dem Bereich der nicht-literarischen Quellen eignet sich die bereits in der Einführung zitierte Sockelinschrift einer Bronzestatue, die einmal im Porticus Octaviae gestanden haben und Cornelia gewidmet gewesen sein soll, für weitere Untersuchungen.[4]

Anker 1

[1] App. civ. 1,3,20.

[2] Sen. Ad Helv. 16,6.

[3] Nep. fr. 58; zur Echtheitsfrage siehe auch: Burckhardt/von Ungern-Sternberg 1994, 120-124.

[4] AE 2004 196 = AE 2014 577 = CIL VI 10043 = CIL VI 31610. 

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